Prävention in der Priesterausbildung

Eine Radio-Reportage im HR von Riccardo Mastrocola:

Nach Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche: Wie angehende Priester mit ihrer Sexualität umgehen

Drei Priesteramtskandidaten aus Fulda und Mainz berichten hier über die Herausforderung, im Zölibat mit der eigenen Sexualität umzugehen. In den dortigen Priesterseminaren wurden die Lehrpläne verändert.

Sexualität ausleben können? “Natürlich fehlt das. Das ist eine offene Wunde, die wird das ganze Leben nicht verheilen. Das ist so. Das muss man wissen und sich klar vor Augen führen”, sagt Philipp Schöppner, Mitte 20, katholischer Priesteramtskandidat aus dem Bistum Fulda.

Lars Brinkmann ist Priesteranwärter im Bistum Mainz. Er sieht das etwas anders: “Eine Wunde, die immer da ist, die könnte nicht heilen. Ich kann dem nicht zustimmen. Sexualität ist da. Die ruft uns auch an. Aber man muss sich dem stellen. Und lernen, Menschen nicht nur vom Geschlecht her zu sehen und als Objekte, sondern als Personen.”

“Wo muss ich Abstand suchen?”

Lars Brinkmann hat schon ein ganzes Studentenleben hinter sich. Hat vorher Kulturanthropologie studiert und abgeschlossen. War schon verliebt, hat Beziehungen hinter sich. Ein attraktiver junger Mann. Was tut er, wenn die Lust kommt? Wenn er Erregung spürt?

“Gute Frage. Wenn man sehr viel zu tun hat wie wir, ist das eh kein großes Thema mehr. Das kennen vermutlich auch viele Menschen mit anderen Berufen, in denen sie viel unterwegs sind, dass sie dann abends nicht mehr sexuell aktiv werden wollen. Aber es ist wichtig, dass man die eigene Sexualität nicht weg schiebt, sich dessen bewusst ist”, findet Lars Brinkmann.

Die Fuldaer Priesteramtsanwärter Philipp Schöppner und Johannes Wende (rechts)

Kein leichter Weg, für den sich die Priesteramtskandidaten entschieden haben. Sexualität dürfe man nicht verdrängen, davon spricht auch Philipp Schöppner, der direkt nach dem Abitur ins Priesterseminar gegangen ist. Er sagt, es gehe ums tägliche Jasagen zum Priestersein – mit allem, was dazugehört und was fehlt. “Dazu gehört auch zu spüren, welche Regungen gehen in mir vor. Wie weit kann ich gehen? Wo muss ich Abstand suchen? Wo ist Ausgleich: Natur, Hobbys, Musik? Um auch grundsätzlich das priesterliche Leben reicher zu machen.”

Kirche begünstigte tausendfache Übergriffe

Junge Priester, die über ihren Umgang mit Sexualität reden, vor einem Mikrofon. Sie haben Ja gesagt zum Interview, weil sie es für nötig halten. Weil sie Offenheit ausstrahlen und auch predigen wollen. Auch im Umgang mit den für sie eher heiklen Themen wie der Sexualität, die zum Menschsein so sehr dazugehört. Gerade und erst recht, nachdem der Blitz einschlug im vergangenen Jahr, als bekannt wurde, welches Ausmaß sexueller Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche hatte und hat.

Bei 1.670 Klerikern der katholischen Kirche fanden die Wissenschaftler aus Mannheim, Heidelberg und Gießen – deshalb MHG-Studie – Hinweise auf möglichen sexuellen Missbrauch Minderjähriger. Die Fälle lagen in den Jahren zwischen 1946 und 2014. Die Dunkelziffer liege höher, sagen die Wissenschaftler. Sie stellten fest, dass die Machtstrukturen und Denkmuster innerhalb der katholischen Kirche die tausendfachen Übergriffe begünstigt hatten.

Forscher bemängelten: zu wenig Zeit für Sexualität

Zwei zentrale Aussagen in der Studie zielten auf die Ausbildung: Die Wissenschaftler bescheinigten beschuldigten Priestern eine “Verdrängung sexueller Bedürfnisse und fehlende sexuelle Reife”. Und: In den Priesterseminaren, wo der Nachwuchs ausgebildet wird, würden die Themen Prävention und Sexualität nicht ausführlich genug behandelt, die Zeit dafür sei zu knapp bemessen.

Einem angehenden Priester Fragen nach Liebe, Lust und Erregung zu stellen, ist spannend und wichtig, weil die Antworten zeigen, wie authentisch und offen Priester in Ausbildung sich mit dem Thema auseinandersetzen können. Gerade jetzt, da die Kirche unter Generalverdacht steht, die geltende Sexualmoral sogar kirchenintern als veraltet kritisiert wird.

Geistliche Begleiter helfen

Philipp Schöppner erzählt von der Ausbildung in Fulda: “Es gibt geistliche Begleiter, die einem immer in Lebensfragen zur Seite stehen. Beim Umgang mit der eigenen Sexualität, mit Beziehungen, mit Frauen. Das läuft immer mit. Im Semester gibt es Studientage.” Im vergangenen Jahr hätten die Priesteramtsanwärter viel über die MHG-Studie gesprochen und über Konsequenzen daraus, sagt Philipp Schöppner: “Außerdem gibt’s im Studium einen breiten Block über Sexualethik. Wir lernen – ganz platt – auf humanistischer und anthroplogischer Ebene, welche Bedeutung Sexualität hat.”

Philipp Schöppner in Fulda und Lars Brinkmann in Mainz sind für das Priesterseminar ausgewählt worden, nach einer intensiven Bewerbungsphase. Jedes Bistum habe im Detail unterschiedliche Routinen, aber die psychologische Analyse der Bewerber sei mittlerweile Standard, sagt Dirk Gärtner. Er ist Regens, also Leiter des Priesterseminars in Fulda.

Gärtner berichtet von externen Psychologen und Gutachten zur sogenannten psychosozialen Reife und psychosexuellen Reife. “Es kommt häufiger vor, dass wir Bewerber ablehnen aufgrund dieser Diagnostik.”

Bei großer Selbstsicherheit horchen die Ausbilder auf

Was muss ein Bewerber sagen oder ausstrahlen, damit Dirk Gärtner alarmiert ist? “Große Selbstsicherheit ist ein Indiz dafür, dass Reifeschritte ausgeblendet oder umgangen werden. Wenn ein Bewerber Zweifel benennen kann, die der Zölibat mit sich bringt, und die Herausforderungen sieht, dann ist das ein Zeichen dafür, dass er damit gut umgehen wird.”

Dazu gehören Fragen zum Umgang mit der eigenen Sexualität. Auch in Mainz wird die Hilfe von externen Psychologen gearbeitet, sagt Tonke Dennebaum, Regens am dortigen Priesterseminar: “Wenn man retardierende Adoleszenz feststellt, dass also manche psychosexuellen Reifeprozesse noch nicht stattgefunden haben, dann kann man denjenigen gar nicht erst in den Bewerbungsprozess aufnehmen.”

Mit dem Skandal um das Canisius-Kolleg kam die Wende

Sind die Themen Prävention und Umgang mit Sexualität zu knapp bemessen in der Ausbildung, wie die MHG-Studie urteilt? Am Priesterseminar in Mainz nicht, meint Tonke Dennebaum. Wie Dirk Gärtner in Fulda ist er nicht erst seit dem vergangenen Jahr alarmiert, sondern seit 2010. Damals wurden die Missbrauchsfälle am Berliner Jesuiten-Gymnasium Canisius-Kolleg bekannt. “Da haben wir ein neues Konzept entwickelt im Hinblick auf den Stellenwert von Sexualität und Zölibat, im Hinblick auf Prävention sexualisierter Gewalt und die Bedeutung von Psychologie in der Ausbildung”, sagt Dennebaum, der seit gut zwei Jahren verantwortlich ist für die Priesterausbildung in Mainz.

Auch der Mainzer Regens betont die Bedeutung der geistlichen Begleiter, mit denen sich die Priesteramtsanwärter regelmäßig treffen. Das sind Menschen aus der Kirche, die mit gelebter Sexualität allerdings keine große Erfahrung haben. “Das ist richtig”, räumt Tonke Dennebaum ein: “Das sind aber Menschen, die große Erfahrung haben mit vielen anderen Menschen und mit dem eigenen Umgang der zölibatären Lebensweise als Ordensschwester oder als Priester.”

In der Ausbildung sind Rollenspiele wichtig

Man dürfe die geistlichen Begleiter auch nicht überfordern, findet Dennebaum: “Man kann die Frage auch nicht ein für allemal beantworten. Wenn diese Vieraugengespräche an Grenzen stoßen, dann muss psychologische Hilfe geholt werden. Und dann weiß auch ich: Da besteht eine Problematik.”

Und dann reagiert Tonke Dennebaum, wie er selbst sagt. Zwar sind die Anwärter dem Zölibat noch nicht verpflichtet, aber sie gehen ihn freiwillig ein. Sie trainieren sozusagen. Wenn es nicht geht, dann trennt man sich – im Guten. Das komme immer wieder vor, sagt Dennebaum.

Noch mal zurück zu den Ausbildungsinhalten: Rollenspiele seien wichtig, sagt Dirk Gärtner in Fulda. Er spricht dabei von “Potenzialanalyse”: “Da werden kritische Situationen in der Pfarrei nachgespielt, mit Schauspielern. Wir sagen: Sie sind jetzt der Priester, verhalten Sie sich dazu. Das können Konflikte sein, das können aber auch peinliche Momente sein. Es sind Situationen, in denen klar wird, wie man kritische Situationen meistert ohne auszuweichen – auch bei Fragen der Sexualität nicht.”

Vom Umgang mit der eigenen Sexualität

Eines wird klar im Gespräch mit den Leitern der Priesterseminare in Mainz und Fulda. Sie schauen schon lange sehr genau hin. Nicht erst seit der Veröffentlichung der MHG-Studie. In der Ausbildung sind Prävention gegen sexuelle Gewalt und gegen Machtmissbrauch ein größeres Thema geworden. Und, theoretisch, auch der Umgang mit den eigenen Sexualität.

Wie sehr aber die Priesteramtsausbildung tatsächlich dabei hilft, mit Liebe, Lust und Erregung umzugehen, ohne die Regeln des Zölibats zu brechen, kann vermutlich jeder Priesteramtskandidat nur für sich selbst beantworten. Johannes Wende zum Beispiel, ein junger Anwärter aus Fulda, der schon zehn Semester hinter sich hat. Im nächsten Jahr soll er zum Priester geweiht werden.

“Ehelosigkeit bedeutet nicht Beziehungslosigkeit”

Johannes Wende also sagt: “Will ich das, will ich das mein Leben lang? Das ist eine radikale Entscheidung. Man darf trotzdem die Ehelosigkeit nicht mit Beziehungslosigkeit verwechseln. Ich habe Freunde und Freundinnen. Das ist wichtig, das bereichert. Zu denen kann ich immer kommen, und ich weiß, das ist in guten Händen. Das bleibt unter uns. Wenn ich das nicht hätte, wäre der Zölibat auch nicht lebbar.”

Der Zölibat: Er wird innerhalb der Kirche, auch von vielen Priestern im Amt in Frage gestellt. Von denen, die schon viele Dienstjahre hinter sich haben und mittendrin stecken im Leben. Die drei Priesteramtskandidaten aus Fulda und Mainz stellen ihn nicht in Frage. Über Sexualität zu reden, auch über die eigene, ist aber kein Tabu für sie.

Sendung: hr-iNFO, 14.12.2019, 20.15 Uhr

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